Christian Riebold & Nicole Scharf

Warum WM?

Die Genese des Wissens-Managements

   
 

Einfluss des Wissens auf verschiedene Bereiche

Durch die Feststellung, dass Wissen ein wichtiges Gut ist, das gestaltet, analysiert und systematisiert werden muss, wurde der Umgang mit Wissen zu einem Kernthema, das sich in verschiedenen Blickfeldern beeinflussend nieder geschlagen hat. Ausgehend von einer sozio-ökonomischen Betrachtungsweise, die sich mit dem Umgang mit Wissen in der Gesellschaft befasst, über organisatorische, sprich unternehmerische Gedankenfelder bis hin zur technischen und psychologischen (Stichwort Wissensarbeiter) Sicht kann man den Einfluss einer neuen Bewertung des Faktors Wissen ersehen.1

Sozio-Ã -konomisch: Die Wissensgesellschaft

Nach Agrarwirtschaft und Industrieproduktion ist es heute die Dienstleistungsgesellschaft, die ins Zentrum des beruflichen Handelns gerückt ist. Nach den alt eingesessenen Werten wie Boden und Kapital zählt nun die Dienstleistung und das Wissen als unverzichtbares Gut. Die Bewertung dieser neuen Güter fällt allerdings nicht so leicht, wie die Produkte der Industriegesellschaft. Eine Leistung oder ein Produkt lässt sich nicht mehr klar beziffern und abgrenzen, was sich natürlich auch auf Rollen und Funktionen der Menschen niederschlägt. Soziale Schichtung, Bildung, religiöse Praxis oder Rollenplätze waren in der Agrar- und Industriegesellschaft stark gefestigt und in gewisser Weise vororganisiert. So war der gesellschaftliche Rang des Fabrikarbeiters ein niederer, während sich der Fabrikbesitzer eines hohen Ranges sicher sein konnte. Ebenso konnte sich ein Sohn eines Fabrikbesitzers über eine gesicherte Zukunft freuen, während der Lebensweg eines Fabrikarbeitersohnes schon vorbestimmt schien. In der Dienstleistungsgesellschaft wird diese Ständesicherheit nun aufgebrochen. Das Individuum ist für seinen Lebensweg selbst verantwortlich. Der Mensch wird nicht mehr im selben Maße von Institutionen und Traditionen bestimmt wie das in Agrar- und Industriegesellschaft der Fall war. Das hat Vor- und Nachteile. Zwar kann sich das Individuum über mehr Freiräume und ein größeres gestalterisches Vermögen freuen, andererseits werden aber auch soziale und wirtschaftliche Probleme auf es übertragen. Es muss sich selbst einen Orientierungspunkt in der Gesellschaft suchen und bekommt diesen nicht mehr vorgegeben. Mit dieser Entwicklung verändert sich die Arbeit selbst natürlich auch. Es geht nicht mehr um eine einfache Arbeitsleistung, die Arbeit wird in vielen Punkten vielfältiger. Sie erfordert größere theoretische Anstrengungen und ein sozial abgestimmtes Miteinander. Der Arbeitnehmer wechselt schnell zwischen einzelnen Rollen. Er ist Familienmitglied, Freizeitgestalter und Arbeitsschaffender. Nicht mehr die einmalige Lehre und anschließende langjährig gleichbleibende Berufstätigkeit ist es, die den Lebensweg des Arbeitnehmers kennzeichnet. Vielmehr ist lebenslanges Lernen in allen Lebenssituationen unbedingt nötig geworden. 2

Organisatorisch: Die Wissensorganisation

Diese Veränderungen in Gesellschaft und Arbeitsprozess haben natürlich auch organisatorische Auswirkungen. Auch Organisationen müssen beispielsweise stetig neu dazu lernen. Ein ungeheurer Beratungsbedarf ist entstanden. Hierbei kann einerseits nach reinen Informationsleistungen unterschieden werden, andererseits kann auf eine bessere Entscheidungskompetenz hin beraten werden. In der Organisation steht die Entscheidung und vor allem die Frage nach der richtigen Entscheidung im Vordergrund. Durch Systematisierung des Wissens und der Erfahrungen der einzelnen Organisationsmitglieder sollen unternehmerische Entscheidungen vereinfacht werden. Das Schlagwort Wissensorganisation kann verschieden verstanden werden. Zum einen als eine Organisation, die ein spezielles Wissen hat und sich dadurch von anderen Organisationen unterscheidet und zum anderen die Zusammenstellung von verschiedenen Techniken, Praktiken, Verfahren und Regeln, die Wissen innerhalb der Organisation strukturieren und organisieren.3
Beim Verständnis der Wissensorganisation als Organisation mit speziellen Wissen lassen sich beispielsweise vier Arten unterscheiden, die nach ausgewählten Kriterien zu differenzieren sind:

 

  Fokus auf gewohnten Problemen Fokus auf neuen Problemen
Betonung der Beiträge Einzelner

Expertenabhängige Organisation

Wissen ist an die Fähigkeit (embolied competence) von Schlüsselmitgliedern gebunden

Status und Macht beruhen auf professionellem Wissen; Weiterbildung, Training und Qualifikationen werden hoch eingeschätzt

Bsp: Krankenhaus

von symbolischem Analystenwissen abhängige Organisation

Wissen ist an die analytischen und darstellerischen Fähigkeiten (embrained skills) von Schlüsselmitgliedern gebunden

Macht und Status durch kreative Leistungen, unternehmerisches Denken und Problemlösen

Bsp: Werbung, Medien

Betonung kollektiver Anstrengungen

Organisation routinierten Wissens

Wissen ist in Technologie, Produkte, Regeln und Prozesse eingebettet

Macht durch Verfügung über Kapital, Technologie und Arbeit; Hierarchische Arbeitsteilung und Kontrolle

Bsp: industrielle Fabrik

Kommunikationsintensive Organisation

Betonung kulturell eingebetteten (encultured) Wissens und gemeinsamen Verstehens (collective understanding)

Expertise überall verteilt; Status situativ; Kommunikation und Kooperation als Kernprozesse

Bsp: Forschung und Beratung

Abb. 1: Typen der wissensbasierten Organisation (nach Blackler, 1995)4

Das zweite Begriffsverständnis der Wissensorganisation bietet allerdings tiefere Fragestellungen. Hier geht es vor allem darum, wie Wissen in eine Leistung kommt und wie sie im Unternehmen gebunden ist. Die Träger von Wissen spielen eine besonderer Rolle. So trägt ein Auto unser Wissen von der Mobilität ebenso in sich, wie das Wissen vom Benzinverbrennungsmotor oder der Erkenntnis, dass Benzin überhaupt brennt. Wissensträger sind also mehr oder weniger fest mit dem Wissen verbunden. So auch der Mensch als Wissensträger, der innerhalb einer Organisation durch die betriebliche Praxis sein Wissen stetig weiter entwickelt. In der Wissensorganisation stellt sich also die Frage, ob sie zur Unterstützung und Hervorbringung von Wissen ausgerichtet ist oder ob Strukturen und Prozesse entsprechend geändert werden müssen.

Eine Schwierigkeit hierbei ist sicherlich auch die immer weitergehende Feinstrukturierung der einzelnen Unternehmensbereiche. Das kann zu Wissensinseln in einer Organisation, getrennt durch Barrieren kultureller, sprachlicher oder sozialer Art, führen. Das Verbinden und Anknüpfen an dieser Wissensinseln ist eine schwierige und wichtige Aufgabe der Wissensorganisation. 5

Technisch: Die Wissenstechnologie

Durch die Entwicklung der Informationstechnik hat der Zustrom von Information enorm zugenommen. Diese Masse an Informationen ist für den einzelnen nicht mehr überschaubar und organisierbar. Die organisatorischen Entscheidungen werden durch Informationsüberlastungen gelähmt. Entsprechend richtet sich das Augenmerk auf die Entwicklung von Archivierungs-, Systematisierungs-, Such- und Aufbereitungsverfahren, damit Informationen organisiert und nutzbar gemacht werden können. Die Frage, wie Informationen in Wissen umgewandelt wird, wird meist ausgeklammert. Ein fertig entwickeltes Expertensystem hat beispielsweise keinen wesentlichen Gewinn, während die Entwicklung selbst einen ungeheuren Wissenszuwachs mit sich bringt. Wissensmanagement ist also mehr als das simple Bereitstellen und Managen von Informationstechnologie. Vielmehr sollte der Verstehensprozess des Menschen der Technik als Orientierung dienen.6

Psychologisch: Der Wissensarbeiter

Der Begriff Wissensarbeiter wird, je nach Autor, durch verschiedenste Fähigkeiten ausgeschmückt. So ist er kreativ, innovativ, intelligent, flexibel oder besonders kommunikativ und sein Arbeitsplatz wird durch eine ausgezeichnete Informationsinfrastruktur bestimmt. Alle diese Beschreibungen lassen aber einen Trend deutlich werden: Dem individuellen Mitarbeiter wird wieder mehr Bedeutung zugesprochen. Er ist eben nicht einfach austauschbar wie Maschinen sondern wird durch sein angeeignetes Wissen wertvoll für das ganze Unternehmen, in dem er tätig ist und für das er selbstständig stetig neues Wissen entwickelt. In den 80er Jahren durch Diskussionen um Lean Management und Qualitätsmanagement schon angedeutet, wird der Mensch in den Konzepten zur lernenden Organisation zu einem wichtigen Standbein und seine Wissensentwicklung als Ziel der Organisation benannt. Neben einer schlichten Produkterstellung bringt der Mensch noch mehr mitein, er hat Vor-Ort-Erfahrungen und Vor-Ort-Wissen und kann dies im Produktionsprozess anwenden. Die Biographie des Mitarbeiters und sein individuelles Wissen wird also immer wichtiger für den Arbeitsprozess. Allerdings ist auch die kollektive Seite des Wissens wichtig, denn ein Teil des individuellen Wissens kann nur in der Gemeinschaft genutzt und eingebracht werden. So zum Beispiel ein Workshop, bei dem eine gemeinschaftliche Lösung für ein anstehendes Problem gesucht wird.7

Warum muss Wissen gemanaget werden?

Warum Wissen gemanaget werden muss, lässt sich anhand der vorab beschriebnen Beeinflussung durch den Wert Wissen klären:

  • "Wissen- so die Grundlagenforschung - ist an Personen und Kontexte (situative Geschehnisse, Episoden, emotionale Bindungen und Bewertungen etc.) gebunden und lässt sich nicht einfach, im Gegensatz zu Informationen, unabhängig von Person oder Kontext seiner Entstehung speichern. Wissen ist jedoch nicht nur kognitiv repräsentiert, sondern auch im tätigen Umgang mit technischen Artefakten, der Praxis sozialer Beziehungen etc. externalisiert.
  • Betriebliches Wissen - so die angewandten Disziplinen - ist als geteiltes und verteiltes Wissen weder vollständig bewusst noch kontextunabhängig speicherbar. Ferner unterliegt das curricular vermittelte Fachwissen und das verallgemeinerte Expertenwissen ständigen Transformationsprozessen, dynamisiert durch die Erfahrungen im Einzelfall.

Vor diesem Hintergrund - auch angesichts der Verkürzung von Produktentwicklungszeiten, Globalisierungstendenzen, Standortängsten, ausbleibenden Innovationsschüben etc. - ist mit dem Konzept Wissensmanagement eine Integrationsmetapher für die Personal- und Organisationsentwicklung benannt. Dabei werden sowohl Managementschwerpunkte der vergangenen Jahre zusammengefasst (Lean Management, Business Re-Engineering, Total Quality Management, etc.) als auch ein disziplinenübergreifender Standpunkt eingenommen." 8

Nohr (2001) äußert sich zu Ursache und Aufgabe des Wissensmanagements wie folgt:

"Was verbindet so unterschiedliche Unternehmen wie Hoffmann-La Roche, Siemens, die Deutsche Genossenschaftsbank, 3M, Helwett-Packard, Ernst & Young, Herlitz oder Skandia? Diese und andere weltweit agierende Organisationen haben das Wissen ihrer Mitarbeiter, ihrer Kunden, ihrer Lieferanten sowie die Angebote externer Informationsdienstleister zu einem zentralen Element ihrer Unternehmensstrategie und ihrer Unternehmenskultur gemacht. Unter dem Stichwort Wissensmanagement (Knowledge Management) verändern sie die organisatorischen und technischen Rahmenbedingungen, um von den Mitarbeitern innerhalb des Unternehmens erarbeitetes Wissen in der Organisation zu verteilen und auf breiter Basis zu nutzen, genauso wie das Wissen ihrer Kunden und ihrer Lieferanten. Ziel ist es, durch eine bessere Nutzung von Wissen einerseits zu Produktivitäts- und Qualitätssteigerungen sowie zu einer höheren Kundenorientierung zu kommen und andereseits durch einen kontinuierlichen Innovationsprozess einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil zu erringen." 9





1vgl. Dick, Wehner, 2002, 8
2vgl. Dick, Wehner, 2002, 8/9
3vgl. Dick, Wehner, 2002, 9
4Dick, Wehner, 2002, 10
5vgl. Dick, Wehner, 2002, 10/11
6vgl. Dick, Wehner, 2002, 11/12
7vgl. Dick, Wehner, 2002, 12/13
8Wehner, Clases, 2002, 30
9Nohr, 2001, 3

Literaturangaben:

Dick, Michael; Wehner, Theo (2002): Wissensmanagement zur Einführung: Bedeutung, Definition, Konzepte. In W. Lüthy, E. Voit & T. Wehner (Hrsg.), Wissensmanagement-Praxis. Einführung, Handlungsfelder und Fallbeispiele. Zürich.

Nohr, Holger (2001): Wissen wird zum Fokus betrieblichen Managements. In Arbeitspapiere Wissensmanagement.. Nr. 4. Online: http://www.iuk.hdm-stuttgart.de/nohr/Km/KmAP/KmAP/html